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Offener Brief:  Erdbeben in Syrien und der Türkei

Die aktuellen Erdbeben in der Türkei und in Syrien haben uns alle erschüttert. Auch einen Monat nach den schweren Beben ist die Region von Normalität weit entfernt. Zahlreiche Menschen müssen übergangsweise in Zelten und Containern unterkommen, Hunderttausende sind obdachlos, Freund*innen und Verwandte verstorben und/oder vermisst. Zusätzlich folgt im Südosten der Türkei die nächste Katastrophe: Teile der Erdbebenregion sind betroffen von Stürmen und Überschwemmungen, welche insbesondere die jene, die in Zelten und Containern leben müssen, treffen. Die Erdbeben in beiden Ländern haben zu einer humanitären Krise geführt, die eine schnelle und umfassende Hilfe erfordert. 

Viele junge Menschen haben ihre Bezugspersonen verloren und sind schwer traumatisiert. Vor allem sie sind verwundbar durch die Ereignisse, die sie erlebt haben und die noch weiter auf sie zukommen. Es ist wichtig, dass die jungen Menschen in den betroffenen Regionen sofortige Unterstützung erhalten, um ihre physischen und psychischen Bedürfnisse zu erfüllen. Diese Unterstützung sollte nicht nur kurzfristig, sondern auch langfristig erfolgen, um nachhaltige Genesung und Wiederaufbau zu gewährleisten.

In Anbetracht der aktuellen Ereignisse in der Türkei und in Syrien ist es besonders wichtig, dass wir uns bewusst machen, dass alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, die gleichen Rechte haben. Bereits in der Vergangenheit wurde eine rassistische Ungleichbehandlung von nicht-weißen Fliehenden deutlich. Es ist unbestreitbar, dass Geflüchtete aus Drittstaaten in Deutschland oft mit erheblichen Schwierigkeiten konfrontiert sind, wie beispielsweise einem eingeschränkten Zugang zu Arbeit, Bildung und Gesundheitsversorgung. Auch die Unterbringungssituation und die Asylverfahren sind oft unzureichend und menschenunwürdig.

Der diskriminierende Umgang mit Geflüchteten, die aus Drittstaaten stammen, sind erschütternde Ereignisse, die auf keinen Fall hingenommen werden und sich nicht wiederholen dürfen. Der Unmut hierüber wird auch innerhalb der Zielgruppe in unseren Projekten „Du.Ich.Wir – Internationale Biografien im Jugendverband“ deutlich. Offensichtliche Ungleichbehandlung und Chancenungleichheit für Geflüchtete in Deutschland, beispielsweise bei Arbeits- und Studienzugängen uvm., sind zu beobachten. Wir lehnen eine Kategorisierung und rassistische Bewertung von Schutzsuchenden ab und fordern eine offene und authentische Willkommenskultur für alle Menschen.

In Bezug auf die Erdbeben in der Türkei und Syrien beobachten wir eine schnellere Aufnahme türkeistämmiger Menschen mit Familienangehörigen in Deutschland im Vergleich zu syrischen Staatsbürger*innen. Das Verfahren ist für Syrer*innen erschwert, da sie zunächst nach Jordanien, in den Libanon oder in die Türkei reisen müssen, um ein Visum zu beantragen. Wir verurteilen diese Ungleichbehandlung aufs Schärfste und fordern eine gerechte Behandlung aller geflüchteten Menschen, ganz egal, aus welchen Ländern sie kommen. Die Tatsache, dass türkeistämmige

Menschen in dieser schwierigen Situation bevorzugt behandelt werden, ist nicht nur diskriminierend, sondern stellt auch eine Verletzung der grundlegenden Menschenrechte dar.

Weiter weisen wir darauf hin, dass in den betroffenen Gebieten überwiegend Angehörige marginalisierter Gruppen leben (u.a. Alevit*innen, Armenier*innen, Assyrer*innen, Êzîd*innen und Kurd*innen). Diese leiden nicht nur ebenfalls unter dem Erdbeben und seinen Konsequenzen, sondern sind durch die politische und gesellschaftliche Marginalisierung innerhalb der beiden Staaten besonders betroffen und vulnerabel. Deswegen muss hier besonders darauf geachtet werden, dass die Hilfe- und Unterstützungsmaßnahmen auch diese Menschen erreichen. Insbesondere ist es hierfür unabdingbar, dass sie im gesellschaftlichen und politischen Diskurs namentlich erwähnt werden sowie ihre Perspektiven, Bedürfnisse und Positionierungen Betrachtung finden. Leider ist dies bislang auch in Deutschland kaum der Fall. In den betroffenen Gebieten werden aufgrund der Marginalisierung der obigen Bevölkerungsgruppen nicht nur Hilfeleistungen teilweise gezielt zurückgehalten, sondern es kommt auch noch zu Bombardierungen von Erdbebengebieten. Dies muss unverzüglich eingestellt werden.

ES IST UNABDINGBAR, DASS ALLEN MENSCHEN ADÄQUATER SCHUTZ IN FORM VON SICHERER, UNBÜROKRATISCHER UNTERBRINGUNG, AUSREICHENDER VERPFLEGUNG UND BILDUNGSMÖGLICHKEITEN GEBOTEN WIRD – GANZ EGAL WELCHE NATIONALITÄT, HAUTFARBE ODER SEXUELLE ORIENTIERUNG SIE HABEN.

Menschen müssen in den aktuellen Erdbebenregionen unbürokratisch und schnell Hilfe erhalten. Wir fordern, dass die Diskriminierung von syrischen Staatsbürger*innen, denen der Zugang zu Hilfsgütern verwehrt oder deren Hilfsgüter „konfisziert“ werden, aktiv bekämpft wird. Hierfür muss Druck auf politische Entscheidungsträger*innen ausgeübt werden, um humanitäre Organisationen und Hilfsgüter zu allen betroffenen Orten und Menschen durchdringen zu lassen.

Die humanitäre Krise trifft auch Menschen in Deutschland. Neben der Hilfe für junge Menschen in den Erdbebenregionen ist es wichtig, dass wir in Deutschland lebenden jungen Menschen, die Familienmitglieder oder Freund*innen in den betroffenen Gebieten haben, besondere Aufmerksamkeit schenken. Sie leiden häufig unter emotionalen Belastungen und benötigen ebenfalls Unterstützung. Deswegen halten wir es für zwingend notwendig, dass psychosoziale Beratungs- und Unterstützungsangebote für alle jungen Menschen organisiert werden, die direkt oder indirekt betroffen sind, um ihnen professionellen Beistand während dieser schwierigen Zeit bieten zu können.

Wir fordern die Landesregierung NRW auf:

  • die aktuelle Erdbebensituation in Syrien und in der Türkei ernst zu nehmen und sicherzustellen, dass alle betroffenen Menschengruppen, einschließlich Türk*innen, Syrer*innen, Alevit*innen, Armenier*innen, Assyrer*innen, Êzîd*innen und Kurd*innen, angemessen unterstützt und geschützt werden. Ihre Perspektiven, Bedürfnisse und Positionierungen müssen im gesellschaftlichen und politischen Diskurs berücksichtigt werden.
  • alle diplomatischen Mittel und Wege dafür einzusetzen, dass Bombardierungen in den Erdbebengebieten unverzüglich gestoppt werden.
  • dafür zu sorgen, dass alle Geflüchteten in Deutschland gleichberechtigt behandelt werden und gleiche Chancen auf eine erfolgreiche Integration haben.
  • sich aktiv dafür einzusetzen, dass die Erleichterungen beim VISA-Antragsverfahren für alle betroffenen Menschen gelten, unabhängig von ihrem Herkunftsland und ihrer Staatsangehörigkeit sowie die Entbürokratisierung dieses Verfahrens.
  • eine Bleibeperspektive in Deutschland ohne zeitlich begrenzte VISA zu schaffen.
  • konkrete Maßnahmen zur Unterstützung von jungen Menschen zu ergreifen, einschließlich der Bereitstellung von psychologischer Unterstützung und Trauma-Interventionen sowie der Unterstützung von Bildungseinrichtungen und Infrastrukturen.

 

 

Ein offener Brief folgender Jugendverbände:

Download Offener Brief (PDF)